Wörtlich oder symbolisch?

Kerstin Marzinzik

Im Schöpfungsbericht in 1. Mose 1 wird das Schaffen Gottes in einer Abfolge von Tagen dargestellt. Andererseits weisen unterschiedlichste Indizien darauf hin, dass die Erde sehr alt ist und sich das Leben während eines langen Zeitraums entwickelt hat. Damit stellt sich die Frage, ob der Schöpfungsbericht bildlich/symbolisch zu verstehen ist.

Dazu ist es interessant, das Reden Gottes in der Bibel einmal näher zu betrachten.

  1. In den prophetischen Büchern (bei den alttestamentlichen Propheten und in der Offenbarung) redet Gott oft in Bildern. Das ist nicht verwunderlich, denn gerade Aussagen, die in die Zukunft weisen und die sich die Menschen (damals) nicht vorstellen konnten, müssen bildlich veranschaulicht werden. Wie sollte man Menschen vor mehreren tausend Jahren Autos, Panzer oder Raketen beschreiben? Z. B. als Pferde (den damaligen schnellsten Fortbewegungsmitteln im Krieg), aus deren Mäulern Feuer, Rauch und Schwefel hervorgeht (Off 9,17). Oder als Heuschrecken, die wie zum Kampf gerüstete Pferde erscheinen, mit Panzern wie eiserne Panzer und Flügelgeräusch, das wie das Geräusch von Wagen mit vielen Pferden klingt, die in den Kampf laufen (Off 9,7-10). Einen Fernseher oder Internet-TV könnte man als ein Bild, das reden kann, beschreiben (vgl. Off 13,14-15). [Was andererseits aber nicht heißen soll, dass an diesen Stellen wirklich Panzer bzw. Fernseher gemeint sind – es könnte sein, aber die Beschreibungen können genauso gut andere Dinge meinen.]

  2. Manchmal werden Bilder benutzt, um Gefühle auszudrücken und zu verdeutlichen: „Wie eine Hirschkuh lechzt nach Wasserbächen, so lechzt meine Seele nach dir, Gott!“ (Ps 42,2) [Alle Bibelstellen werden nach der Elberfelder Bibelübersetzung von 2006 zitiert. Hervorhebungen im Bibeltext sind meistens von der Autorin.]
    Auch Gott benutzt solche Bilder, um seine Gefühle gegenüber seinem Volk oder seiner auserwählten Stadt (Jerusalem) auszudrücken: „Vergisst eine Frau ihren Säugling, dass sie sich nicht erbarmt über den Sohn ihres Leibes? Sollten selbst diese vergessen, ich werde dich niemals vergessen.“ (Jes 49,15)
    Ferner spricht er sich (menschliche) Körperteile (Arm, Hand, Ohren etc.) zu, um sein Handeln/Denken/Fühlen für uns Menschen anschaulich zu machen (aber nicht um zu sagen, dass er wie wir Körperteile im wörtlichen Sinne hätte).
    Jes 46,16: Siehe, in [meine] beiden Handflächen habe ich dich eingezeichnet. […]
    Jes 59,1: Siehe, die Hand des HERRN ist nicht zu kurz, um zu retten, und sein Ohr nicht zu schwer, um zu hören […]
    Jes 63,5: Und ich blickte umher, aber da war keiner, der half. Und ich wunderte mich, aber da war keiner, der [mich] unterstützte. Da hat mein Arm mir geholfen, und mein Grimm, der hat mich unterstützt.

  3. Manchmal haben auch Zeitangaben eine symbolische Bedeutung. Hesekiel musste die Schuld Israels symbolisch tragen: ein Tag entsprach dabei einem Jahr der Schuld Israels bzw. Judas. In Dan 9,23ff ist von Wochen die Rede, aber die meisten Bibelausleger sind sich einig, dass damit Jahr-Wochen gemeint sind, d. h. eine „Woche“ steht für 7 Jahre.
    Hes 4,4-6: Und du, lege dich auf deine linke Seite, und lege die Schuld des Hauses Israel auf dich: Nach der Anzahl der Tage, die du auf ihr liegst, [so lange] sollst du ihre Schuld tragen! Und ich habe dir die Jahre ihrer Schuld zu einer Anzahl von Tagen gemacht: 390 Tage. [So lange] sollst du die Schuld des Hauses Israel tragen. Und hast du diese vollendet, so lege dich zum zweiten Mal hin, [nun] auf deine rechte Seite, und trage die Schuld des Hauses Juda! Vierzig Tage lang, je einen Tag für ein Jahr, habe ich [sie] dir auferlegt.
    Dan 9,24: Siebzig Wochen sind über dein Volk und über deine heilige Stadt bestimmt, um das Verbrechen zum Abschluss zu bringen und den Sünden ein Ende zu machen und die Schuld zu sühnen und eine ewige Gerechtigkeit einzuführen und Vision und Propheten zu versiegeln und ein Allerheiligstes zu salben.
    Außerdem steht Gott selbst natürlich außerhalb der Zeit und kann sie – je nach „Blickwinkel“ „schneller“ oder „langsamer“ verstreichen sehen:
    Ps 90,4: Denn tausend Jahre sind in deinen Augen wie der gestrige Tag, wenn er vergangen ist, und wie eine Wache in der Nacht.
    2.Pt 3,8: Dies eine aber sei euch nicht verborgen, Geliebte, dass beim Herrn ein Tag ist wie tausend Jahre und tausend Jahre wie ein Tag.

  4. Oft redet Gott natürlich ganz wörtlich: z. B. bei der Gesetzgebung und den Anweisungen zum Bau der Stiftshütte und dem Gottesdienst. Auch die Aufzeichnungen in den Geschichtsbüchern wollen sicher wörtlich verstanden werden.

  5. Zusätzlich haben aber selbst diese historischen Aufzeichnungen eine bildliche (geistliche) Bedeutung. Darauf weist z. B. der Galaterbrief hin, wo über die Geschichte von Hagar und Ismael (1. Mo 16) geschrieben steht, dass sie einen bildlichen Sinn hat, den die Gemeinde in Galatien hätte erkennen können bzw. sollen (Gal 4,21-31):
    Gal 4,22+24: Denn es steht geschrieben, dass Abraham zwei Söhne hatte, einen von der Magd und einen von der Freien; […] Dies hat einen bildlichen Sinn; denn diese [Frauen] bedeuten zwei Bündnisse: Eines vom Berg Sinai, das in die Sklaverei hineingebiert, das ist Hagar […]
    Das gilt nicht nur für diese eine Geschichte, sondern für alles, was „zuvor geschrieben“ wurde:
    Röm 15,4: Denn alles, was früher geschrieben ist, ist zu unserer Belehrung geschrieben, […]

  6. Im neuen Testament redet Gott noch viel direkter, nämlich nicht nur durch Propheten und geschichtliche Zeugnisse, sondern „im Sohn“ (Hebr 11,1-2) - Jesus Christus!
    Auffallend ist nun, dass auch Jesus gar nicht so viel „Klartext“ geredet hat, sondern sehr oft symbolisch und in Bildern.

    • Hier fallen einem vielleicht zuerst die Gleichnisse Jesu ein (z. B. Mt 13). Und auch darüber hinaus benutzt er viele Bilder und Vergleiche mit der Natur (z. B. Mt 6,19-34).
    • Besonders symbolträchtig ist das Johannesevangelium. Dort finden wir die sieben „Ich bin“-Worte Jesu überliefert. Damit beschreibt Jesus sich als „Brot des Lebens“, „Licht der Welt“, „Tür“, „Guter Hirte“, „Auferstehung und das Leben“, „Weg, Wahrheit, Leben“, und „Weinstock“ (Joh 6,35; 8,12; 10,9+12; 11,35; 14,6; 15,1). Natürlich ist klar, dass Jesus kein Brot, keine Tür und kein Weinstock im buchstäblichen Sinne ist. Er war auch nicht Hirte von Beruf, sondern Handwerker.
    • Gerade im Johannesevangelium, in dem sehr viele Reden Jesu festgehalten sind, findet man viele weitere bildhafte Aussagen – und manchmal hat man das Gefühl, dass Jesus bewusst doppeldeutig redet und ein Missverstehen bei seinen Zuhörern in Kauf nimmt – wenn nicht gar absichtlich provoziert.
      • In Joh 2,19 bspw. fordert Jesus seine Zuhörer nach der Tempelreinigung auf, den Tempel abzubrechen und behauptet, ihn in 3 Tagen wieder aufzurichten. Natürlich dachten hier alle an den Tempel, in dessen Vorhof diese Begebenheit stattfand. Jesus dagegen meinte den „Tempel seines Leibes“ (Joh 2,21)!
      • Im Gespräch mit Nikodemus redet Jesus von einer neuen Geburt und spielt im Laufe des Gespräches auf Hes 36,25-27 an. Doch nicht einmal der „Theologe“ (Pharisäer) Nikodemus versteht, was Jesus meint, und denkt an eine leibliche Geburt (Joh 3,3-11)!
      • Im nächsten Kapitel behauptet Jesus im Gespräch mit der Samariterin am Jakobsbrunnen, dass er, Jesus, ihr lebendiges Wasser geben könnte (Joh 4,10) – ein Ausdruck, der im Judentum für frisches, kühles Quellwasser benutzt wird und von der Frau entsprechend verstanden wird. Sie weiß, dass der Brunnen kein solches Wasser enthielt und fragt deshalb erstaunt, wo Jesus dieses Wasser her hätte, zumal er nicht einmal ein Schöpfgefäß bei sich hat (Joh 4,11). Jesus dagegen dachte an etwas Geistliches: den Heiligen Geist (vgl. Joh 7,38-39)! + In Joh 6,50ff bezeichnet Jesus sich als das lebendige, himmlische Brot und sagt, wenn jemand dieses Brot, sein Fleisch, essen würde, ewiges Leben erhalten sollte (später ergänzt er noch: und sein Blut trinken würde; Joh 6,51-54). Die Juden verstanden dies nicht und stritten darüber, denn sie fassten seine Aussage wörtlich auf (Joh 6,52). Doch Jesus meinte auch diese Aussage nicht wörtlich, sondern geistlich – es war einem Juden auch strikt verboten, etwas Blutiges zu essen, geschweige denn zu trinken (3.Mo 17,10-14).
      • In Joh 8,31-32 versprach Jesus denen, die an ihn glaubten, dass die Wahrheit sie frei machen würde, wenn sie in seinem Wort blieben. Auch diese Äußerung wurde missverstanden. Frei? Sie waren doch frei und keine Sklaven! (Ganz so frei waren sie allerdings nicht, denn Israel stand unter römischer Herrschaft.) Doch Jesus hatte eine ganz andere Freiheit im Sinn: die Freiheit von der Sklaverei der Sünde (Joh 8,34)! Wieder eine geistliche Tatsache. Im weiteren Verlauf des Gespräches streitet er sogar ab, dass seine Zuhörer Kinder Abrahams wären. Rein biologisch waren sie es, aber geistlich nicht! Und dass er sogar behauptete, Abraham gesehen zu haben, der schon lange tot war, während Jesus noch keine 50 Jahre alt war, war auf natürliche Weise auch nicht zu verstehen (Joh 8,57).
      • Als Lazarus gestorben war, sprach Jesus gegenüber seinen Jüngern davon, dass er eingeschlafen sei (Joh 11,11) und nimmt damit auch in Kauf, selbst von seinen Jüngern missverstanden zu werden, die an einen natürlichen Schlaf und nicht an ein „entschlafen“ dachten – zumal er ja auch zuvor gesagt hatte, dass die Krankheit des Lazarus „nicht zum Tode sei“ (Joh 11,4).
      • Als „Ironie des Schicksals“ könnte man vielleicht die Aussage des Kaiphas bezeichnen, der vorschlug, Jesus zu töten, weil es nützlicher wäre, „dass _ein _Mensch für das Volk sterbe und nicht die ganze Nation umkomme“ (Joh 11,50). Er wollte damit das Volk vor einem (seiner Meinung nach) „gefährlichen Verführer“ retten – doch Gott prophezeite durch seine Worte, dass Jesus für die Rettung seines Volkes (und darüber hinaus) sterben würde (Joh 11,51-52).
    • Warum benutzte Jesus so oft bildliche oder missverständliche Ausdrücke? Zum Teil vielleicht, um durch provozierende Aussagen zum Nach- und Weiterdenken herauszufordern. Zum Teil, weil er geistliche Wahrheiten verkündigte, die sich anders nur schwer und nicht so plastisch ausdrücken lassen.
      Warum benutzt Gott oft bildliche/symbolische Sprache?
  7. Manchmal, um bestimmten (ihm ablehnend gegenüberstehenden) Menschen den Zugang zu den damit ausgedrückten Informationen zu erschweren (damit begründet Jesus sein Reden in Gleichnissen, vgl. Mt 13,13-17). Dieser Aspekt ist bezüglich des Schöpfungsberichtes sicher irrelevant.

  8. Damit sich die Inhalte besser einprägen. Heute sind durch Bücher, Zeitschriften, Fernseher, Internet etc. Informationen sehr schnell und quasi unbegrenzt verfügbar. Das war damals nicht der Fall. Der Buchdruck wurde erst zur Zeit Luthers erfunden. Davor musste mühsam per Hand abgeschrieben werden und es war wichtig, sich gehörte Informationen gut einzuprägen. Inzwischen wurde nachgewiesen, dass die Gedächtnisleistung deutlich besser ist, wenn Informationen nicht nur gehört, sondern auch mit Bildern unterstützt werden. Das konnte in einer Zeit, in der es kein Fernsehen, Beamer, Internet etc. gab, durch bildhafte Sprache geschehen.

  9. Um Dinge zu beschreiben, die (damals und z. T. vielleicht auch heute noch) nicht bekannt waren und daher mittels Bildern beschrieben werden müssen.
    Dieser Aspekt ist bezüglich des Schöpfungsberichtes relevanter, als man auf den ersten Blick meint. Zunächst ist zu berücksichtigen, dass der Schöpfungsbericht Menschen gegeben wurde, die sehr vieles von dem, was die Menschheit inzwischen erforscht hat, nicht kannten und sich auch nicht vorstellen und verstehen konnten. Damit war ihnen insbesondere die „ferne“ Vergangenheit genauso unvorstellbar wie die Zukunft.
    Außerdem ist in gewisser Hinsicht auch der Schöpfungsbericht Prophetie, nämlich „Prophetie rückwärts“. Der Schöpfungsbericht ist keine Geschichtsschreibung im klassischen Sinne, denn kein Mensch war bei der Erschaffung der Welt dabei. Daher musste _Gott _dem Menschen offenbaren, dass er die Welt geschaffen hat. Und wie bei allem Handeln Gottes, sei es in der Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft, sind uns auch beim Verstehen des Schöpfungshandelns Gottes Grenzen gesetzt. Unser begrenzter Verstand ist einfach nicht in der Lage, das Handeln eines höherdimensionalen Gottes zu verstehen!
    Jes 55,8-9: Denn meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der HERR. Denn [so viel] der Himmel höher ist als die Erde, so sind meine Wege höher als eure Wege und meine Gedanken als eure Gedanken.
    Röm 11,33: Welche Tiefe des Reichtums, sowohl der Weisheit als auch der Erkenntnis Gottes! Wie unerforschlich sind seine Gerichte und unaufspürbar seine Wege!

  10. Geistliche Sachverhalte sind uns nicht direkt zugänglich und werden deshalb oft bildlich ausgedrückt.
    Joh 6,63: Der Geist ist es, der lebendig macht; das Fleisch nützt nichts. Die Worte, welche ich zu euch geredet habe, sind Geist und sind Leben ...

  11. Viele historische Geschehnisse haben (zusätzlich zur geschichtlichen) eine geistliche Bedeutung!
    Röm 15,4: Denn alles, was früher geschrieben ist, ist zu unserer Belehrung geschrieben, damit wir durch das Ausharren und durch die Ermunterung der Schriften die Hoffnung haben.

Abschließend bleibt damit festzuhalten, dass das Reden Gottes in der Bibel (aus unterschiedlichen Gründen) sehr viel öfter bildlich/symbolisch ist, als uns gemeinhin bewusst ist - insbesondere in den Reden von Jesus Christus, dem Mensch gewordenen Gott.

Das alles gibt natürlich keine endgültige Antwort auf die Frage, ob der Schöpfungsbericht wortwörtlich oder symbolisch zu verstehen ist, aber es zeigt immerhin, dass Gott oft in Bildern spricht, ferner die kulturelle Stufe und das Erkenntnisniveau sowie Verständnisvermögen der Menschen berücksichtigt und manchmal sogar bewusst Missverständnisse in Kauf nimmt. Damit ist immerhin gezeigt, dass es nichts Ungewöhnliches wäre, wenn auch der Schöpfungsbericht symbolischen Charakter hat.

Bei allen Fragen, die der Schöpfungsbericht aufwirft, so bleibt doch eins gewiss:

1.Tim 1,15: Das Wort ist gewiss und aller Annahme wert, dass Christus Jesus in die Welt gekommen ist, Sünder zu retten [...]

Am Ende unseres Lebens zählt nicht, ob wir an Evolution oder die Sechs-Tage-Schöpfung geglaubt haben, sondern dass wir an Jesus Christus, Gottes Sohn, geglaubt haben, der am Kreuz für unsere Sünden gestorben ist.

Joh 3,36: Wer an den Sohn glaubt, hat ewiges Leben; wer aber dem Sohn nicht gehorcht, wird das Leben nicht sehen, sondern der Zorn Gottes bleibt auf ihm.

Das ist der einzige Weg zu ewigem Leben. Wer diesen Weg „betritt“, in dem schafft Gott schon jetzt Neues (2.Kor 5,17) und er wird einmal Teil des neuen Himmels und der neuen Erde werden, die Gott nach dem Ende dieser Erde schaffen wird (2.Pt 3,13).