Theistische Evolution – Vom Paulus zum Saulus?

Dr. Mark Marzinzik

Ich hatte in den Jahren von 1992 bis 2008 mehrfach Vorträge zum Thema »Schöpfung oder Evolution?« vor unterschiedlichem Publikum gehalten (mehrheitlich Kirchengemeinden aber auch eine christliche Schule) und habe darin einen schöpfungsorientierten Ansatz eines jungen Universums (im Bereich einiger tausend Jahre) vertreten (sogenannter »Kurzzeit-Kreationismus« oder »Junge-Erde-Kreationismus«) - wie ich meinte im Einklang mit einer bibeltreuen Auslegung von Genesis 1-3 (1. Mose, Kapitel 1 bis 3).

Inzwischen habe ich meine Ansichten an vielen Stellen revidiert und neige nun zu einer Weltsicht, die gemeinhin als »Theistische Evolution« (d.h. Gott schuf durch Evolution) bezeichnet wird. Damit gehöre ich nun zu den Leuten, vor denen ich früher immer gewarnt habe. Irgendwie eine Ironie des Schicksals.
Ich möchte betonen, dass dieser »Sinneswandel« - oder besser dieses »Umdenken« - nicht leichtfertig von mir vollzogen wurde. Es ist meine wissenschaftliche Redlichkeit, die fordert, neue Erkenntnisse zu prüfen und zu versuchen, sie mit meinem biblischen Weltbild in Einklang zu bringen. Und da war dann sozusagen ein Fass voll. Die Indizien für hohe Alter der Erde und des Weltalls (im Bereich von Milliarden Jahren) einerseits und die Indizien für eine gemeinsame Abstammung von beispielsweise Affen und Menschen sind in den letzten Jahren tatsächlich so enorm angewachsen und stichhaltig geworden, dass ich eine ganz starke Parallele zu den Vorgängen zur Zeit von Kopernikus sehe, als viele Christen am alten Weltbild (dass die Erde feststehe und die Sonne sich um die Erde bewege) festgehalten haben, weil die Bibel darin in ihren Aussagen doch so eindeutig sei (z.B. Josua 10, 12-13; Psalm 19, 4-6; Psalm 119, 90). Meiner Meinung nach hat es einfach keinen Sinn mehr, die hohen Alter und die gemeinsame Abstammung zu leugnen. Wir Christen diskreditieren uns ansonsten nur selbst. Je länger wir jetzt noch warten, umso mehr.
Ich möchte meine Leser bitten, nun nicht vorschnell eine »rechtgläubige« Abwehrhaltung einzunehmen, sondern die Argumente, die auf dieser Website (www.schöpfung-durch-evolution.de) veröffentlicht werden, zu prüfen.
Hinsichtlich der gemeinsamen Abstammung von Affen und Menschen hat die Genomsequenzierung in den letzten Jahren meiner Meinung nach eindeutige Belege erbracht (gemeinsame Spuren von endogenen Retroviren, Vitamin-C-Gen-Defekt, Vitellogenin-Gen-Reste (Eigelb) beim Menschen; ferner sei noch ein bei Affen und Menschen gleicherweise kaputtes Hämoglobin-Gen genannt, und die Reihe könnte fortgesetzt werden).
Ich kann daher nicht mehr anders, als Alternativen zu meinem bisher vertretenen »Kurzzeit-Kreationismus« zu prüfen. Es kann und darf jedenfalls nicht sein, dass wir an einer wörtlichen Auslegung der Schrift an solchen Stellen kleben, wo die Wissenschaft mit nahezu hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit anderes herausgefunden hat. Heute würde jedenfalls auch ein noch so bibeltreuer Christ Bibelstellen über das »Feststehen der Erde« ohne lange zögern zu müssen als sinnbildliche Aussage akzeptieren (Stellen, die zu Zeiten Kopernikus von vielen Christen, beispielsweise auch Luther und Melanchthon, noch als zwingend wörtlich zu verstehen angesehen wurden). Vielleicht ist es noch ein langer Weg, bis auch die Aussagen aus dem Schöpfungsbericht der Bibel (Genesis 1-3) von der Mehrheit der bibeltreuen Christen als sinnbildlich oder einem antiken Weltbild verpflichtet erkannt werden. Aber es bleibt uns als redlichen Christen meines Erachtens keine andere Wahl.